Mike Harrison / Like A Road (Leading Home) – Ein Nachruf

Mit Mike Harrison ist am 25. März 2018 einer der letzten großartigen Blues- und Rock-Sänger Großbritanniens im Alter von 72 Jahren gestorben.

Waiting For The Wind – Die frühen Jahre

Geboren wurde er am 3. September 1945 im englischen Carlisle. Mitte der sechziger Jahre gründete er zusammen mit weiteren Musikern (die später als Original-Line-up von Spooky Tooth in die Geschichte eingehen sollten) die Band V.I.P.’s. Nach zwei mehr oder weniger erfolglosen Singles benannte sich die Band in Art um, was nach vielen weiteren Konzerten und etwas Glück zu einem Album führte. Viele Exemplare wurden von dieser Scheibe nicht verkauft, was zum Ausstieg des Keyboarders Keith Emerson führte. Der Chef des damaligen Labels Island Records, Chris Blackwell, glaubte jedoch an die Band und seinen persönlichen Geschmack. Was zu einer weiteren Änderung des Bandnamens und (auf Blackwells eindringlichen Wunsch) der Neueinstellung des amerikanischen Keyboarders Gary Wright führte.

Ceremony – Die ersten Spooky Tooth-Alben und der Durchbruch

Spooky Tooth war geboren. Das gute Debüt („It’s All About“, 1968) dieser Formation sorgte nicht nur für Wirbel in der Szene, sondern kam auch bei den Musik-Fans europaweit fantastisch an. Nach vielen weiteren Auftritten spielte das fantastische Gespann um die Sänger Mike Harrison (auch Keyboards) sowie Gary Wright (auch Piano), den Schlagzeuger Mike Kellie, den Bassisten Greg Ridley (später Humble Pie) sowie den Gitarristen Luther Grosvenor mit dem Zweitwerk „Spooky Two“ den großen Durchbruch ein.

Der Hit dieser Scheibe war „That Was Only Yesterday“, aber auch einige weitere ewige Fan-Favoriten wie das mächtige „Waiting For The Wind“, das live auf der Bühne alles einreißende „Evil Woman“, „Feeling Bad“ und nicht zu vergessen das großartige „Better By You, Better Than Me“ (das Jahre später sogar von der Heavy Metal-Band Judas Priest gecovert wurde) machten diese Scheibe zu einem absoluten Höhepunkt englischer Rock-Musik des Jahres 1969.

What A Price – Alles läuft schief und ein letztes Hurra

Die Chemie innerhalb der Band war jedoch immer kompliziert und bei weitem frei von verbalen Auseinandersetzungen. Als das Management die Band dann auch noch dazu nötigte, ein Album mit dem französischen Experimental-Musiker Pierre Henry („Ceremony“, 1970) aufzunehmen, das bei den Fans auf komplette Ablehnung stieß, war dann so richtig Feuer unter dem Dach. Spooky Tooth gab es eigentlich nicht mehr, aber da war noch ein Vertrag über ein weiteres Album zu erfüllen. Mike Harrison nahm die Sache in die Hand, engagierte neben dem verbliebenen Mike Kellie (und zumindest anfangs noch Luther Grosvenor) kurzentschlossen die Grease-Musiker Henry McCullough an der Gitarre, Chris Stainton an den Tasten und Alan Spenner (für das Kurzzeit-Mitglied Andy Leigh) am Bass.

In dieser Konstellation entstand „The Last Puff“, das nach Meinung des Verfassers dieser Zeilen (zusammen mit „Spooky Two“) stärkste Album der Band. Zwar waren hier neben einem verbliebenen Song von Gary Wright und einer Komposition des neuen Mitglieds Chris Stainton nur Coversongs (wie beispielsweise „I Am The Walrus“ von den Beatles, „Something To Say“ von Joe Cocker oder „Son Of Your Father“ von Elton John) am Start, aber die Spielfreude und ein fantastisch aufgelegter Mike Harrison waren zurück im Ring. Eine heute sträflich vergessene Perle der britischen Musik-Geschichte des Jahres 1970.

I’ll Keep It With Mine – Erste Soloalben

Anschließend war allerdings tatsächlich Schicht im Schacht und Mike Harrison begann eine Solo-Karriere, die mit dem gleichnamigen Debütalbum (1971) startete. Und erneut glückte ihm hier eine grandiose Platte, ganz tief im Blues verwurzelt ohne über 12-Takter Songs zu verfügen, wahnsinnig emotional und melancholisch mit tiefgehenden Songs, die allerdings weit weg vom Massengeschmack auch nur den Ansatz einer Chance auf hohe Verkaufszahlen hatten. 1972 wurde mit „Smokestack Lightning“ ein zweiter Anlauf genommen, der aber (trotz der beiden bärenstarken Songs „Tears“ sowie dem Titelstück) gegenüber dem Debüt etwas abfällt.

The Wrong Time – Spooky Tooth Reunion, Part I

»Money makes the world go around!« hieß es auch vor vierzig Jahren schon und da keines der ehemaligen Spooky Tooth-Mitglieder seit der Trennung nennenswerte Erfolge mit neuen Projekten aufzuweisen hatte und dazu das Reunion-Angebot einer Plattenfirma kam, griffen alle Beteiligten nur all zu gerne zu. 1973 erschien die Scheibe (mit dem vielleicht etwas unglücklichen Titel) „You Broke My Heart, So I Busted Your Jaw“, auf der von der Original-Besetzung (nachdem alle Klarheiten bezüglich der Verträge und Tantiemen ins Nirvana verhandelt waren) aber nur noch Mike Harrison und Gary Wright zu hören waren. Keine Großtat wie in der Vergangenheit, konnten aber immerhin einige Songs (wie „Cotton Growing Man“ oder „Self Seeking Man“) durchaus überzeugen.

Aus dieser Zeit gibt es übrigens eine DVD mit dem Namen „The Lost Broadcasts“, die die Band auf der Bühne im Fernseh-Studio von Radio Bremen zeigt, während sie drei Songs der letztgenannten Scheibe (zwei Nummern werden zwei Mal gespielt) live zum Besten gibt. Dazu kommt eine Version von „Waiting For The Wind“ sowie „The Weight“ aus dem Beat Club gegen Ende der Sechziger (dieser Song allerdings zu Playback). 1974 lagen jedoch schon wieder graue bis tiefschwarze Wolken über dem Bandgefüge und diesmal war es Mike Harrison, der die Brocken resigniert und angewidert hinwarf. Die Band Spooky Tooth nahm noch die Scheibe „The Mirror“ (1975) mit Mike Patto als Sänger auf (bevor jeder der verbliebenen Musiker seiner Wege ging), während Harrison sich wieder seiner Solo-Karriere zuwandte. Ebenfalls 1975 erschien Mikes sein drittes Solo-Album mit dem Namen „Rainbow Rider“, das dieses Mal deutlich rockiger war. Wenn es ihm auch hier nicht gelang, die fantastische und ergreifende Intensität seines Debüt zu übertreffen, so war die Scheibe insgesamt doch deutlich besser als ihr Vorgänger „Smokestack Lightning“. Meine Highlights liegen hier ganz klar bei den Songs „I’ll Keep It With Mine“ (Bob Dylan) sowie „Like A Road (Leading Home)“.

Call It A Day – Schnauze gestrichen voll und die lange Pause

Harrison hatte zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere jedoch persönlich einen Punkt erreicht, der sehr nahe an der Grenze des Erträglichen stand. Zwei weitere Umstände brachten sein persönliches Fass dann endgültig zum überlaufen. Zum einen schien sein Label „Rainbow Rider“ als nichts weiter als eine Steuer-Abschreibung zu betrachten. In einem Interview Jahrzehnte später sagte Mike Harrison einmal: »Promotion? Welche Promotion? Ach, doch, da war was… sie brachten es unter Schmerzen gerade so auf die Reihe, zwei Konzerte für mich in London zur Veröffentlichung von „Rainbow Rider“ zu organisieren. Tja, und das war’s dann mit Promotion… irgendwelche Kampagnen, Werbung? Bist du verrückt? Das hätte sie ja Geld gekostet!« Die Platte starb nicht wirklich überraschend einen schnellen Tod und zum zweiten war es so, dass was auch immer an Geld von den ersten drei Soloalben des Engländers eingenommen wurde, vom Label einbehalten wurde, um angebliche Schulden von Spooky Tooth auszugleichen. Das war’s, Schluss, Aus, Ende… Harrison hatte genug und zog sich komplett aus dem Business zurück.

Ja, dieser grandiose Sänger mit dem rauen Organ und so wahnsinnig viel Feeling auf den Stimmbändern hatte die Schnauze so dermaßen voll von Band-Streitigkeiten und davon, nie wirklich einen Cent aus den Album-Verkäufen all seiner Veröffentlichungen gesehen zu haben, dass er fortan für 22 Jahre Jobs als Barmann, Milch-Ausfahrer, Auto-Mechaniker und ähnliche Tätigkeiten annahm. WAS für eine Verschwendung hinsichtlich eines derart begabten und bärenstarken Sängers!

Late Starter – Spooky Tooth Reunion (Parts II & III), die Hamburg Blues Band und ein letztes Soloalbum

Irgendwie kam die Original-Band Spooky Tooth (bezeichnenderweise ohne Gary Wright) Mitte der neunziger Jahre aber wieder in Kontakt und es wurden Sessions abgehalten. Im Studio entstanden sogar drei Songs, bevor es zu logistischen und finanziellen Problemen kam. Glücklicherweise fielen diese drei Tracks jedoch dem deutschen Label Ruf Records in die Hände, das die vier Musiker darauf nach Weimar verfrachtete und die Finanzen für die Aufnahmen eines Albums zur Verfügung stellte. „Cross Purpose“ erschien schließlich 1999 und führte zu ziemlich gemischten Reviews und Reaktionen bei Kritikern und Fans. Aus diesem Grund entwickelte sich auch nicht viel mehr aus diesem Versuch, aber Mike Harrison wurde darauf von der Hamburg Blues Band engagiert, mit der ca. zehn Jahre lang zusammenarbeitete.

Von 2004 bis 2008 kam es dann auch wieder zu einer letzten Reunion von Spooky Tooth (wieder mit Gary Wright, aber ohne den mittlerweile verstorbenen Greg Ridley, während von Luther Grosvenor jegliche Spur fehlte). Dann war wieder Schluss und auch Harrisons Engagement bei der Hamburg Blues Band lief aus. Im Jahr 2001 ist er auf dem Album „Touch“ der vorgenannten Combo zu hören und 2006 erschien ein letztes Soloalbum mit dem Namen „Late Starter“. Danach wurde es ruhig um den Engländer, der in den letzten acht Jahren seines Lebens nur noch sporadisch auf der Bühne anzufinden war.

Ich hatte es bereits am Anfang dieses Nachrufes geschrieben, wiederhole mich aber gerne: Mit Mike Harrison hat England am 25.03.2018 einen seiner letzten großen Blues-, Soul- und Rocksänger aus der Blütezeit um 1970 verloren, der Zeit seines Lebens leider viel zu wenig Beachtung fand.

Rest in peace, Mike, wir werden dich nie vergessen!


Die wichtigsten Werke bei Amazon:

Spooky Two*

The Last Puff*

Ceremony: An Electronic Mass*

It’S All About*

Mike Harrison/Smokestack Lightning/Rainbow Rider*

Last puff (feat. Mike Harrison)*

Mike Harrison*

4 Antworten auf „Mike Harrison / Like A Road (Leading Home) – Ein Nachruf“

    1. Hi CH,

      danke für’s Kompliment!

      Zu meinem Leidwesen hab ich den guten Mike auch nur ein einziges mal live gesehen. Das war mit der Hamburg Blues Band und leider war er da auch nur für vier oder fünf Tracks auf der Bühne. Aber die hatten es in sich!

  1. Ich hatte das Glück ,Spooky Tooth sowohl in Originalbesetzung als auch bei der Reunion mehrfach live zu erleben. Danach blieb ich auch Mike Harrison bei der Hamburg Blues Band treu.
    Nach mehr als 20 Konzerten hatte ich fast schon ein freundschaftliches Verhältnis zu Mike Harrison, mit dem ich Backstage oft interessante Gespäche führte. Sein Tod hat mich tief getroffen.
    Was uns allen bleibt, ist seine phantastische Musik und die Erinnerung an einen sehr netten Menschen

  2. Von den V.I.P.s über Art bis zu den Spookys hatte ich das Glück alle Phasenn im Star-Club zu erleben und das nicht nur einmal. Denkwürdig das Konzert als Vorgruppe zu Spencer Davies, Mike sang „Georgia on my mind“ und später dann auch Steve Winwood. Man kann Steve zugute halten, dass er erst 16 oder 17 Jahre alt war, aber das Soulfeeling brachte Mike auf die Bühne. Echt schade, dass der „grosse“ Durchbruch nur immer am Horizont zu sehen war. Ein Grosser ist gegangen, wie traurig!

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