Sterling Morrison – Ride Into The Sun

Der musikalische Output des amerikanischen Gitarristen Sterling Morrison war zwar quantitativ nicht sehr hoch, aber er war Original-Mitglied der bahnbrechenden Band The Velvet Underground, die in den wenigen Jahren ihres Bestehens unzählige andere Musiker mit ihrem Sound inspirierte und nicht ganz zu Unrecht als erste Punk Rock-Band Amerikas bezeichnet werden darf.

Beginning To See The Light – Eine verhängnisvolle Bekanntschaft

Der amerikanische Gitarrist Sterling Morrison wurde am 29. August 1942 in Long Island, New York geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte. Aus den frühen Jahren ist, außer dass er über seinen Schulfreund Jim Tucker schon sehr früh dessen Schwester Maureen ‚Mo‘ Tucker kennenlernte, nicht sehr viel bekannt. Anfang der sechziger Jahre verschlug es ihn für eine Studium auf die Universität in Syracuse, New York, wo er einem gewissen Lou Reed über den Weg lief, der ebenfalls Gitarre spielte. Die beiden trafen sich desöfteren, um ein paar Sessions abzuhalten, bevor sie sich aus den Augen verloren. Ca. ein Jahr später trafen sie jedoch in New York City wieder aufeinander und Reed lud den guten Sterling ein, zusammen mit ihm, einem Waliser namens John Cale und einem Drummer/Percussionisten namens Angus MacLise zu jammen. Das lief alles ganz nett an, bis die Combo ein Angebot für einen Auftritt bekam. MacLise stellte sich quer, da er sich nicht sagen lassen wollte, zu welcher Uhrzeit er anfangen und zu welcher er aufhören sollte zu spielen. Außerdem betrachtete er den Akt, für einen Auftritt bezahlt zu werden, als den totalen Ausverkauf der Kunst. Nicht ganz überraschend endete die Diskussion mit seinem Rauswurf. Da nun dringend ein Drummer gebraucht wurde, erinnerte sich Morrison an ‚Mo‘ Tucker, die dann auch (ursprünglich nur für diesen einen Auftritt) von den Sturköpfen und Alphatieren Reed sowie Cale akzeptiert wurde.

Somit war die Band The Velvet Underground (benannt nach einer sadomasochistischen Novelle von Michael Leigh) geboren. Erste Wochen-Engagements endeten (aufgrund Cales Liebe zur Avantgarde und der Weigerung die aktuellen Top40-Song zu spielen) sehr schnell mit einem Rauswurf, bis eine entscheidende Wende eintrat. Der angesagte Künstler Andy Warhol interessierte sich für die Band und ein spezielles Konzept, das diese mit weiteren Artisten/Schauspielern vor einem im Hintergrund ablaufenden Film in Aktion zeigte. Durch Warhols Mithilfe kam es zu einem Plattenvertrag, aber nicht ohne dass er die deutsche Schauspielerin Christa ‚Nico‘ Päffgen in die Gruppe (die eigentlich gar keinen Bock auf die Lady hatte) integrierte.

Femme Fatale – Ein deutsches Frollein kommt und geht

Es entstand das bahnbrechende erste Album „The Velvet Underground & Nico“, das bis zum heutigen Tage glühende Verehrer, aber auch grundsätzliche Ablehnung hervor ruft. Seiner Zeit weit voraus, verkaufte sich die Scheibe kurz nach ihrem Erscheinen aufgrund der Radikalität, äußerst unbequemen Themen sowie Songtiteln der Marke „Heroin“, „Waiting For The Man“, „Venus In Furs“ oder „Black Angel’s Death Song“ gerade mal ein paar hundert mal. Und dennoch war eine Scheibe für die Ewigkeit gelungen, da sie als Gegenpunkt auch wunderschöne (wenn von den Lyrics her auch verstörende) Tracks wie „Sunday Morning“, „I’ll Be Your Mirror“, „All Tomorrow’s Partys“ oder „Femme Fatale“ hevorbrachte. Mit der Schönheit sowie auch mit Nico war es bei der zweiten Scheibe „White Light, Whithe Heat“ allerdings geschehen und neben einem avantgardistischen Sound waren es 1968 speziell die homosexuellen oder transsexuellen Themen von Stücken wie „Lady Godiva’s Operation“ oder „Sister Ray“, die den ersten Sympathisanten unter den Fans den Stecker zu ziehen schienen.

Black Angel’s Death Song – Cale muss gehen und Reed will nicht mehr

Andy Warhol hatte sich mittlerweile ausgeklinkt, die Band tourte weiter. Nach einem bösen Streit zwischen den beiden Anführern musste John Cale noch 1968 seinen Hut nehmen und wurde durch Doug Yule ersetzt. Mit ihm entstand das immer noch alternative und abgefahrene dritte Album „The Velvet Underground“, das erneut keine erwähnenswerte Verkaufszahlen vorzeigen konnte. Die Band hielt sich im Prinzip durch Konzerte und jede Menge Speed über Wasser. 1970 erschien die vierte Scheibe „Loaded“, die ein Sommer-Engagement in dem New Yorker Laden Max’s Kansas City nach sich zog. Da der verbliebene Bandleader Lou Reed aber nicht unbedingt ein Mann des Friedens war und sich mit dem damaligen Band-Manager am Hals hatte (in dem Buch des Autors Victor Brockris steht geschrieben, dass es sich lediglich darum handelte, dass im Line-up auf der Album-Rückseite der Name Yule über dem von Reed stand), stieg der gute Lou im August 1970 (zugegebenermaßen auch vollkommen ausgepowert vom ewigen Touren und den Drogen) aus und verkroch sich bei seinen Eltern.

Cool It Down – The Velvet Underground vor dem Aus

Die Band The Velvet Underground war anschließend – schlicht und ergreifend – Vergangenheit. Doug Yule hielt die Geschichte zwar noch eine gewisse Zeit am Laufen, dennoch war jedem (und nachdem sich ‚Mo‘ Tucker in einen Mutterschafts-Urlaub verabschiedet hatte und durch Yules Bruder Billy ersetzt worden war) und schließlich auch Sterling Morrison klar, dass hier lediglich noch ein totes Pferd ausgeschlachtet wurde. Sein letztes Konzert mit der Band spielte er am 21. August 1971 in Houston, Texas. Noch am nächsten Morgen stieg er aus der Band aus und schrieb sich in die dortige Universität ein.

I’ll Be Your Mirror – Die Sache mit den Tantiemen

Sterling bekam zwar für insgesamt elf Tracks Co-Songwriting Credits, dass bezüglich dieser Angaben aber auch nicht immer alles so ist, wie es scheint, darüber machte er sich mal in einem Interview mit Victor Bockris Luft, als er sagte: »Lou wollte unbedingt die Songwriting Credits für sich haben, also haben wir sie ihm auf fast allen Songs überlassen, damit er zufrieden war. Unter sämtlichen Songs des „Loaded“-Albums steht sein Name ganz allein, weshalb er seit Jahrzehnten als das einzige Genie bei Velvet Underground gefeiert wird. Was natürlich nicht wahr ist. Es gab sehr viel mehr Tracks, wo mein Name hätte ebenfalls drunter stehen müssen und dasselbe gilt auch für John Cale. Ich bin der letzte, der den Einfluss oder das Talent von Lou Reed kleinreden will. Er ist und war der beste Songwriter von uns dreien. Aber er bestand immer darauf, die Songwriting Credits alleine für sich zu bekommen und wir haben sie ihm damals gelassen, um des lieben Friedens Willen.«

New Age – Die Reunion nach gut 20 Jahren

Wirklich ‚ernsthaft‘ ging Sterling Morrison anschließend vor allem seinem Studium (bis er seine Dissertation in englischer Literatur vollendet hatte), seinem Job (erst als Arbeiter und anschließend als Verantwortlicher auf einem Schleppboot, außerdem übernahm er Lehraufträge an der Uni) und seiner Familie nach, bis er er Mitte der achtziger Jahre wieder Sessions mit seinen ehemaligen Band-Kollegen für deren Soloalben oder auf der Bühne spielte. Im Jahr 1992 kam es tatsächlich noch einmal zu einer Reunion der Band Velvet Underground, die zunächst für eine Europa-Tour und ein mögliches Album im Anschluss vereinbart wurde. Interessanterweise schlug Sterling Morrison vor, auch Doug Yule für die Abrundung des Sounds als Musiker einzubeziehen, was von sowohl Lou Reed als auch John Cale jedoch abgelehnt wurde. Nicht ganz überraschend hatten sich die Leitwölfe, aber auch die eher stillen Mitmusiker Morrison und Tucker mit eben diesen nach der Tour wieder so am Kragen, dass es anschließend weder zu einem lukrativen (fest geplanten und bereits vertraglich festgelegten) MTV-Unplugged-Auftritt, noch zu einer US-Tour, noch zu einem neuen Studioalbum kam. Exitus Velvet Underground.

After Hours – Eine überraschende Diagnose und der schnelle Abschied

Sterling Morrison spielte in den kommenden Jahren vor allem in ‚Mo‘ Tuckers Tour-Band und konzentrierte sich sowohl auf seine Familie, als auch auf einen ’normalen‘ Job. Ende 1994 wurde er überraschend mit Krebs diagnostiziert. Sowohl Lou Reed, als auch Maureen Tucker besuchten ihn in den kommenden Monaten, bis er am 30. August 1995, einen Tag nach seinem 53. Geburtstag, seinem Leiden erlag. John Cale schrieb und spielt seither auf seinen Konzerten den Song „Some Friends“ für ihn.


Die Studioalben von Velvet Underground:

The Velvet Underground & Nico (1967):

Ein für das Jahr 1967 revolutionäres Album, das seiner Zeit weit voraus war. Die deutsche Schauspielerin und Sängerin Nico war hier auf drei der Songs („Femme Fatale“, „All Tomorrow’s Partys“ sowie „I’ll Be Your Mirror“) als Sängerin zu hören. Eigentlich war sie auch für „Sunday Morning“ vorgesehen, was aber am Ego Lou Reeds scheiterte. Das Album besticht mit knüppelharten Texten über das Leben auf der Straße und menschliche Abgründe, musikalisch glänzt es einerseits mit wunderschönen Melodien („Sunday Morning“), andererseits mit avantgardistischem Punk Rock („The Black Angel’s Death Song“), der nicht unbedingt für zarte Gemüter geeignet ist. Essenziell!

„White Light/White Heat“ (1968):

Das mit Abstand kompromissloseste und am schwersten zugängliche Album der Band, das den vorgesehenen Produzenten lediglich die Grundeinstellung der Aufnahmegeräte vornehmen ließ, um das Studio dann mit den Worten »Ich hör‘ mir diesen Scheiß nicht länger an!«  zu verlassen. Mit dem kurzen knackigen Titeltrack sowie den beiden epischen Songs „The Gift“ (8:18) sowie „Sister Ray“ (17:28). Nicht unbedingt als Einstiegsplatte geeignet.

„The Velvet Underground“ (1969):

Nachdem John Cale vor die Tür gesetzt worden war, geht es auf dem dritten Album deutlich melodischer zu, was sich alleine schon an den beiden wunderschönen Nummern „Candy Says“ sowie „Pale Blue Eyes“ festmachen lässt. Mit „Beginning To See The Light“ und „What Goes On“ finden sich aber auch sehr starke Rocker. Außerdem verfügt das Album in Form von „After Hours“ über einen der seltenen Songs, bei dem Maureen Tucker die Lead Vocals übernahm.

„Loaded“ (1970):

Das letzte Studioalbum der Band, das über die wohl bekanntesten Tracks „Rock’n’Roll“ sowie „Sweet Jane“ verfügt. Aber auch „Who Loves The Sun“, „New Age“ oder „Lonesome Cowboy Bill“ sind richtig gute Stücke. Das wohl poprockigste und zugänglichste Album.


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